Strabag-CEO Thomas Birtel: "Wir erleben den Beginn eines Infrastruktur-Booms"

Erleben Sie momentan einen Infrastruktur-Boom? 

Thomas Birtel: Wir erleben den Beginn eines Infrastruktur-Booms. Das glauben wir zumindest vom Bedarf her voraussagen zu können. De facto hat er aber gerade erst begonnen. In Deutschland, vor allem in Westdeutschland hatte man lange Zeit Probleme. Und zwar nicht das Geld zu verausgaben oder den Bedarf zu identifizieren, sondern Projekte zu planen und dann geplant auszuschreiben. Aber jetzt geht es langsam los.

Man sieht auf sehr vielen Baustellen die Schilder von Strabag oder einer ihrer Töchter. Wann wurden heute aktive Baustellen geplant und vergeben? Wie viele Jahre dauert so etwas?

Das kann sehr unterschiedlich sein und hängt davon ab, wie groß die einzelne Losgröße eines Projektes war. Ein großes Projekt, wie beispielsweise Stuttgart21, ist schon 15 Jahre alt gewesen, bevor es begonnen wurde zu bauen.

Ist man bei der Strabag durch die mitunter langen Zeitspannen bis zur Vergabe konjunkturunabhängig oder ganz einfach nachzyklisch?

Wir sind tatsächlich etwas nachzyklisch. Aber insgesamt glauben wir relativ konjunkturunabhängig zu sein. Das liegt daran, dass wir uns doppelt diversifiziert aufstellen. Zum einen in sämtlichen Segmenten des Bauens bzw. in sämtlichen Größenordnungen. So kann ein Straßenbauauftrag auch einmal ein Volumen von nur 5000 Euro haben. Aber eben auch 50 Millionen Euro. Er kann sogar 1,5 Milliarden bringen. Auch das haben wir schon erlebt. Zum anderen operieren wir in verschiedenen Regionen. Wir haben zwar über 90 Prozent unseres Umsatzes in Europa, aber selbst benachbarte europäische Baumärkte verhalten sich sehr unterschiedlich und sind dazu geeignet Fluktuationen auszugleichen.

In Deutschland nehmen Infrastrukturprojekte zu. Gilt das auch für den Rest Europas?

Das ist, wie bereits erwähnt, von Land zu Land sehr unterschiedlich. Wir haben beispielsweise im letzten Jahr eine sehr starke Entwicklung in Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei gesehen. In diesem Jahr sieht es aber in all diesen Märkten etwas gedämpfter aus. Wir führen diesen Umstand auch darauf zurück, dass im letzten Jahr der erste EU-Kohäsionsfonds ausgelaufen ist und jetzt der neue aufgelegt wurde. Es ist normal, gerade bei der öffentlichen Hand, dass es da auch einmal einen so genannten „Durchhänger“ geben kann.

Die Halbjahreszahlen liegen vor. Da ist man mit einem EBITDA-Wachstum von 27 Prozent gut unterwegs. Dieser Wert ist zwar von einem Einmaleffekt - Stichwort Züblin – beeinflusst, aber was kann man denn für das Gesamtjahr schon sagen?

Wir sagen stets, dass man von der Halbjahresentwicklung nicht gut auf unser Gesamtjahr schließen kann. Allerdings ist es richtig, dass wir auch im letzten Jahr beispielsweise beim Konzernergebnis ein Wachstum von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr hatten.

Welche Aufträge machen Ihnen denn die größte Freude?

Das sind eigentlich immer die Aufträge, die man gerade gewonnen hat. Wir haben ein laufendes Portfolio von 15.000 Baustellen, die wir permanent parallel bearbeiten. Da gibt es nicht den einen Liebling. Das muss man einfach sagen. Das große Straßenbauprojekt mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro, das ich vorher ansprach, bleibt einem allerdings in Erinnerung. Das war vor einigen Jahren der Bau der A2-Autobahn von West nach Ost in Polen.

Wie viele Unterschriften hat eigentlich so ein Vertrag. Das müssen doch bestimmt sehr viele Personen unterschreiben?

Das kommt darauf an. Bei privaten Verträgen können es ganz wenige Unterschriften sein. Bei der öffentlichen Hand sind es die Verfahren, die hin zu den Unterschriften der letztlich Bevollmächtigten führen, die das ganze so langwierig machen.

Gibt es eigentlich so eine Art Endlosbaustelle? So nach dem Motto, die 160 km Autobahn haben wir vor x Jahren begonnen und jetzt müssen wir wieder neu anfangen mit der Sanierung.

Ja, so etwas kann es auch geben. Aber ich möchte ein anderes klassisches Beispiel nennen. Wir sind auch in Chile ein großes Bauunternehmen mit über 4500 Mitarbeitern. Dort betreiben wir Tunnelbau als Selbstzweck. Wir sind nämlich im sogenannten Mining-Bereich unterwegs. Vor allem in der Kupferindustrie bauen wir Erz ab. Das ist normalerweise der Abraum beim Tunnelbau, den man dann entsorgen muss. Hier ist es aber genau das Ziel der Aktivität. Dieses Geschäft betreiben wir bereits seit vielen Jahrzehnten und hoffentlich folgen noch viele weitere.

Sie haben es schon angedeutet. Über 90 Prozent des Umsatzes wird in Europa generiert. Die restlichen knapp 10 Prozent teilen sich auf die ganze Welt auf. Welchen Einflüssen ist die Strabag da ausgesetzt? Ich denke etwa an Russland, Brexit, Öl- und Kupferpreis etc. 

Hier muss man unterscheiden. Das außereuropäische Geschäft ist für uns durchaus exotisch. Hier ist es tatsächlich so, dass wir Energie- und Rohstoffpreisentwicklungen sehr stark merken. Wir haben einen starken Bereich im mittleren Osten, also den Vereinigte Arabischen Emiraten, Katar, Saudi Arabien und Oman. Und hier spüren wir zur Zeit schon, dass diese Staaten unter den erheblichen Rückgängen bei den Ölpreisen leiden. Wir merken, dass diese Länder bei der Vergabe von neuen Projekten sehr zurückhaltend sind. In Chile ist es der Kupferpreis, der im Fokus steht. Auch hier gibt es natürlich eine gewisse Volatilität. In Europa ist das aber anders. Da haben wir tatsächlich diesen Ausgleich-Effekt über unsere vielen Märkte. Wenn es einem Land schlechter geht, geht es dem anderem besser. Und deswegen sehen wir unter dem Strich ja bei unseren Gesamtkonzernzahlen eine Finanzkrise 2008/2009 genauso wenig wie einen Ukraine/Russlandkrise 2013/2014 oder aber jetzt die Entwicklung des Brexit.

Kommen wir zurück zu aktuellen Meldungen. An Raiffeisen Evolution halten Sie jetzt 100 nach zuvor 20 Prozent. Was macht den Wohnbau für Sie so interessant?

Das ist kein ganz neues Geschäftsfeld für uns. Wir sind bereits - gerade im Großraum Wien - mit unserer Tochter Mischek ein ganz großer Bauträger und Wohnungsbauer. Aber wir glauben, dass das, was Raiffeisen Evolution bisher in diesem Bereich auch erfolgreich getan hat, sehr gut dazu passt und deswegen haben wir uns nach reiflicher Überlegung entschlossen diese Übernahme zu vollziehen.

Wie viel hat diese Übernahme gekostet?

Das ist etwas, worüber wir Stillschweigen vereinbart haben. Das wird man dann im Geschäftsbericht lesen können.

Reden wir über andere Dinge. Was haben Sie denn momentan für ein Rating?

Wir haben das „Triple B“ mit „stable outlook“ nach Standard & Poors. Das heißt, dass wir in der Mitte des Investment Grade Ratings sind.

Wie schaut es mit Schulden aus?

Wir haben zum Jahresende in der Regel keine Schulden, sondern eine negative Net-Debt-Position. Im Vorjahr lag diese bei etwas über 1 Milliarde Euro.

Wie viel Kapital hätten Sie für weitere Übernahmen an der Hand?

Das ist ein hoher Betrag. Wir wollen aber auf keinen Fall durch Ausgaben für Übernahmen unser Rating gefährden. Das könnte passieren, wenn beispielsweise die Eigenkapitalquote zu gering wird. Aber ich setze das bei einem höheren mittleren dreistelligen Millionenbetrag an. Es ist kein Geheimnis, dass wir für die Übernahme der Züblin-Minderheit etwas über 210 Millionen Euro in bar aufgewandt haben. Und das gefährdet unsere Bilanzstruktur in keiner Weise.

Beim Umsatz lag man zum Halbjahr 8 Prozent über dem Vorjahreswert. Kann ich Ihnen hier eine Prognose für das Gesamtjahr entlocken?

Wir sind ursprünglich davon ausgegangen, das Vorjahr in etwa halten zu können. Da haben wir ein Plus von 5 Prozent auf 14,3 Milliarden geschafft. Heute bin ich etwas vorsichtiger und sage es könnte auch ein Minus im niedrigen einstelligen Prozentbereich werden. 



(24.10.2016)

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Thomas Birtel (Strabag), (© Martina Draper/photaq)


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