Das Kreuz mit dem Zinssatz (Daniel Koinegg)

Value and Opportunity ist mein absoluter Liebling unter den mittlerweile zahlreichen Blogs über die Themen, die auch bei Bargain behandelt werden. Unlängst erschien dort ein sehr kritischer Artikel über David Einhorns Wahl der Kapitalkosten, mit denen er den fairen Wert von Consol Energy ermittelte und diese Ergebnisse bei einer Präsentation vorstellte. Ich empfehle Euch dringend, diesen Artikel hier nachzulesen. Überhaupt lege ich jedem Leser des Bargain Magazines nahe, auch valueandopportunity.com regelmäßig zu besuchen. Dort lernt Ihr mehr, als auf jeder Universität dieser Welt. Die Quintessenz des Artikels ist Folgende:

  • Einhorn hat eine Position im US-amerikanischen Erdgas- und Kohleunternehmen Consol Energy aufgebaut.
  • Den inneren Wert des Unternehmens hat er mit einer Discounted-Cashflow-Rechnung in Form der Entity-Methode unter Verwendung des WACC, also der „weighted average cost of capital“ ermittelt.
  • Der von Einhorn verwendete gewichtete Zinssatz in Höhe von 8,4% sei laut Value and Opportunity viel zu niedrig, weil die Renditen, mit denen derzeit Anleihen von Consol gehandelt werden, im Bereich von durchschnittlich 14,5% p.a. liegen. Da das Risiko der Eigenkapitalgeber sinnigerweise höher sein muss als jenes der Fremdkapitalgeber, habe der Eigenkapitalkostensatz seinerseits deutlich über den Fremdkapitalkosten zu liegen.
  • Das führe auf einen wesentlich höheren gewichteten Zinssatz hin, als die 8,4%, die Einhorn verwendet.

Ein paar Überlegungen hierzu

Ich habe mir über diese Argumentation etwas den Kopf zerbrochen und möchte nun ein interessantes Problem diskutieren. In einem Punkt bin ich völlig auf einer Linie mit der obgenannten Argumentation, nämlich dass der von den Eigenkapitalgebern geforderte Zinssatz über jenem liegen muss, der den Fremdkapitalgebern zugestanden wird. Die Crux ist nun erstens, welchen Zinssatz man in so einer Situation für den Fremdkapitalanteil verwendet, und zweitens, um wie viel der Zinssatz für die Eigenkapitalgeber darüber liegen muss.

Es liegt auf der Hand, dass die Eigenkapitalkosten umso höher gewählt werden müssen, je größer das Risiko für die Eigenkapitalgeber ist. Das führt nun zunächst zu der Frage, wie man „Risiko“ definiert. Ich persönlich verstehe das Risiko als die Gefahr, einen teilweisen oder gänzlichen dauerhaften Kapitalverlust zu erleiden. Diese Gefahr entspringt für mich, wie wohl für die meisten Value Investoren, nicht aus der Intensität der Aktienkursschwankungen, sondern aus der Stabilität der Bilanz eines Unternehmens und aus den Zukunftsaussichten für seine Geschäftstätigkeit. Hoch verschuldete Unternehmen, die sich der Gefahr schrumpfender Cashflows ausgesetzt sehen, sind demnach riskant, unabhängig davon, wie stark ihre Aktienkurse in Relation zum Gesamtmarkt in der jüngeren Vergangenheit geschwankt haben. Das Risiko eines dauerhaften Kapitalverlustes ermittelt man also, in dem man sich erstens die Bilanz ansieht und sich zweitens über die Fähigkeit des Unternehmens Gedanken macht, in Zukunft ausreichende Cashflows zu generieren.

Zum nächsten Punkt: Man nehme für die Fremdkapitalkosten einen Zinssatz, der ungefähr den Renditen entspricht, die die Anleihen dieses Unternehmens derzeit am Markt offerieren. Lasst uns einen Schritt zurücktreten und überlegen, was diese Vorgehensweise impliziert. Wenn die Anleihen derzeit Renditen von im Schnitt über 14 Prozent p.a. bieten, heißt das nichts anderes, als dass der Anleihenmarkt Consol Energy in riesigen operativen Problemen wähnt. Anleihegläubiger rechnen mit sehr spitzen Bleistiften und sind wahrscheinlich öfter rational, als die Teilnehmer am Aktienmarkt. Zweifellos. Die Frage, die ich hier aber aufwerfen möchte, ist: Sind Anleihemärkte immer rational? Hier möchte ich ein klares Nein als subjektive Antwort einwerfen. Insbesondere im konkreten Fall von Consol Energy sind die Anleihegläubiger mit dem selben Problem konfrontiert wie die Aktionäre. Sie müssen die zukünftige Entwicklung des Erdgas- und Kohlemarktes einschätzen und überlegen, ob die Preise, die man in Zukunft mit den geförderten Produkten erzielen wird, dafür ausreichen werden, um die Kapitalkosten zu bedienen. Warum ein Anleihehändler diese Fragestellung besser und rationaler beantworten können soll, als ein Aktienhändler, ist mir schleierhaft. Wenn dem so wäre, wäre der Anleihehändler ja ein Idiot, würde er weiter Anleihen handeln und nicht Aktien, deren Upside bei korrekter Einschätzung der Zukunft um ein Vielfaches größer ist.

Was heißt das nun in weiterer Folge? Wenn ich die Auffassung vertrete, dass Anleihemärkte ebenfalls manchmal irrational sein können, insbesondere dann, wenn sie sich über Dinge den Kopf zerbrechen müssen, mit denen sich sonst nur Aktionäre herumschlagen, dann macht es für mich keinen Sinn, bei der Ableitung der Kapitalkosten am Markt beobachtbare Anleiherenditen des Unternehmens als Ausgangspunkt zu wählen und darauf noch ein paar Prozent aufzuaddieren, um die relativ schlechtere Position der Eigenkapitalgeber abzugelten. Würde ich das tun, nähme ich die Auffassung des Marktes (in dem Fall des Anleihemarktes), das Unternehmen habe signifikante operative Probleme, einfach als gegeben an und würde meine eigene Renditeerwartung als Investor in die Aktien darauf aufsetzen. Einfacher formuliert: ich würde mir vom Markt, der machmal rational und manchmal irrational ist, sagen lassen, was ich zu tun hätte. Das ist nicht die Vorgehensweise, die ich als Value Investor wählen möchte.

Die zweite eingangs erwähnte Frage war, um wie viel der Zinssatz für die Eigenkapitalgeber relativ gesehen über jenem liegen soll, der für die Fremdkapitalgeber angesetzt wird. Darauf habe ich keine absolut gültige Antwort. Da ich bisher de facto keine praktische Erfahrung mit Anleihen habe, kann ich nur Vermutungen anstellen und bin offen für jede Art von Input Eurerseits. Ich tendiere aber rein aus dem Bauch heraus zu folgender Überlegung: je größer die operativen Schwierigkeiten des Unternehmens nach sorgfältig durchgeführter Analyse tatsächlich zu sein scheinen und je mehr davon in den Anleiherenditen am Markt schon beobachtbar ist (wenn man also nach eingehender eigener Einschätzung dieselbe Meinung vertritt, wie der Anleihemarkt), desto geringer würde ich diesen relativen Aufschlag ansetzen (möglicherweise ein oder zwei Prozent weniger). Begründen möchte ich das wie folgt: Wenn Anleihen verhältnismäßig hoch rentieren und obendrein eine fundamentale Analyse darauf hindeutet, dass diese Einschätzung des Anleihemarktes korrekt ist, kann das auch bedeuten, dass die Anleihemärkte schon große Teile des absolut quantifizierbaren operativen Risikos einpreisen. Natürlich sind die Eigenkapitalgeber in aller Regel (je nach Anleihebedingungen aber auch nicht immer) strukturell schlechter gestellt, als das Fremdkapital. Wenn das Unternehmen wirklich gegen die Wand fährt, verlieren beide, der Eigenkapitalgeber verliert sehr wahrscheinlich alles, der Fremdkapitalgeber bekommt eine Quote oder möglicherweise via Debt to Equity Swap das Unternehmen. Wenn wider Erwarten aber doch noch alles glatt geht, das Unternehmen seine Verbindlichkeiten irgendwie neu ordnen kann, sich die operative Situation plötzlich verbessert, jemand mit niedrigeren Kapitalkosten das Unternehmen aufkauft, oder das Management irgendeinen anderen Weg findet, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, hat die Eigenkapitalseite eine asymmetrische Upside, die meiner Meinung nach zumindest teilweise die relativ schlechtere Position kompensiert. Aber das ist jetzt wirklich nur ein Hirngespinst.

Fazit

Ganz egal, ob man nun in Anleihen oder Aktien investiert, das tatsächliche Risiko, bei einem Engagement einen teilweisen oder gänzlichen dauerhaften Kapitalverlust zu erleiden, hängt immer von der finanziellen Stabilität eines Unternehmens und seinen Zukunftsaussichten ab. Streng genommen muss man diese Dinge immer beurteilen, und zwar selbst und eigenständig, ohne dabei auf die Meinung des Marktes, irgendeines Marktes, zu schielen. Man muss das Unternehmen analysieren und sich überlegen, wie es sich und seine Cashflows in den nächsten Jahren entwickeln wird. Wenn man zur Auffassung gelangt, dass signifikante operative Probleme drohen, wählt man höhere Zinssätze (sowohl für Eigenkapital als auch für Fremdkapital). Wenn man aber nach sorgfältiger Prüfung die Meinung begründet, dass das Unternehmen überleben wird, sind niedrigere Zinssätze zu wählen. Das gilt meines Erachtens sogar für den Extremfall, dass dann der gewichtete Kapitalkostensatz unter dem liegt, was derzeit für das Fremdkapital am Markt beobachtbar ist. Die automatische Schlussfolgerung, dass der Anleihemarkt derzeit Probleme einpreist und ich deshalb für die Eigenkapitalkosten einen noch höheren Zinssatz wählen muss, ist meiner Meinung nach nicht zulässig, zumindest nicht unter der Prämisse, dass Anleihemärkte ebenfalls irrational sein können.

Disclaimer: Mir geht es in diesem Artikel ausschließlich um methodische Überlegungen. Ich will weder behaupten, dass der Anleihemarkt im konkreten Beispiel bei Consol irrt, noch will ich David Einhorn verteidigen. Ich habe mich nicht mit der finanziellen Stabilität von Consol Energy auseinander gesetzt und möchte diesen Artikel deshalb keinesfalls als Empfehlung in irgendeiner Art verstanden wissen.

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(20.11.2015)

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Daniel Koinegg

Der Praktikant.

>> http://www.bargain-investments.com


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