Nicht jeden erfreut ein sinkender Ölpreis (Franz C. Bauer, Marc Schmidt)

Die Flüchtlingskrise erreicht – nicht gerade überraschend – die Wirtschaft. Laut jüngster Studie der deutschen Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) wird sich das Konsumklima in unserem Nachbarstaat und wichtigsten Handelspartner im November eintrüben. Erstmals seit Mai 2013 rutscht das Konsumbarometer in Deutschland unter die Null-Linie. Immerhin 44 Prozent der Befragten rechnen damit, dass die Arbeitslosigkeit in ihrem Land (die in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen ist) wieder steigen wird, und die Mehrheit nennt für diese negative Einschätzung die Flüchtlingszuströme als Grund. Auch der deutsche Finanzminister Schäuble hat sich zu Wort gemeldet. Ohne Flüchtlinge hätte Deutschland im kommenden Jahr möglicherweise das Nulldefizit geschafft, der Finanzminister rechnet nun aber mit Kosten bis neun Milliarden Euro.

Schlechteres Konsumklima, zusätzliche Schulden – dass dies nicht ohne Auswirkung auf die Börse bleiben wird, liegt nahe. Was Anleger am meisten fürchten ist Unsicherheit, und diese nimmt, speziell in Österreich, zu. Die Regierung informiert die Bevölkerung nicht hinreichend über Flüchtlings- und Asylantenzahlen, und schon gar nicht über die damit verbundenen Kosten. Hier ist in naher Zukunft wohl einiges an Aufklärungsarbeit fällig – besonders was die Kosten betrifft, und woher das Geld kommen soll. Schäubles Idee eines Flüchtlings-Solidarbeitrages ist zwar vernünftig, weil unmittelbar budgetneutral, politisch aber kaum mehrheitsfähig. Die Erholung des DAX, die Ende September eingesetzt hat, verlor zuletzt jedenfalls deutlich an Schwung.

Unsicherheit verbreitet sich derzeit aber auch aus den USA. Seit mindestens einem halben Jahr spricht man dort über eine Zinserhöhung, doch diese lässt auf sich warten. Ranghohe Mitglieder des Federal Reserve Systems (FED) haben sich da in den vergangenen Wochen durchaus kontroversiell positioniert, und das verunsichert die Anleger auch in Europa. Aber – muss es das? Aus unserer Sicht: Nein. Kurzfristig dürfte eine Zinserhöhung in den USA die Kurse an der Wall Street drücken. Ganz egal kann uns das nicht sein, denn Kursverluste am größten Börsenplatz der Welt haben erfahrungsgemäß einen Effekt auf die weltweite Börsenstimmung. Sie sind aber auch Ausdruck einer positiven Einschätzung der US-Wirtschaft durch die FED-Ökonomen, und so kommt es dann mittelfristig wieder zu Kursgewinnen. Außerdem stärken höhere Zinsen die Währung, wovon wiederum Exporteure aus dem Euro-Raum profitieren. Gefährlich wären höhere US-Zinsen daher vor allem für hoch verschuldete Schwellenländer wie Brasilien und die Türkei – was uns wieder zum Flüchtlingsthema zurückführt.

Durch geschickte Steuerung der Flüchtlingsströme erhöht die Türkei gerade den Druck auf die EU, die Beitrittsverhandlungen wieder aufzunehmen. Die Börse hat das schon registriert, der ISE 100-Index der Börse Istanbul legte seit Ende August um 13 Prozent zu, obwohl sich wirtschaftliche Eckdaten wie Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Inflation verschlechterten. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Politiker die Europareife der Türken ernsthafter prüfen als die Euroreife der Griechen.

Franz C . Bauer, Trend RedakteurEin Beitrag von Franz C. Bauer

Franz C. Bauer ist Chefkolumnist des Austria Börsenbriefs

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(02.11.2015)

Erdöl, Förderung, Bohrung, Ölindustrie, http://www.shutterstock.com/de/pic-183705671/stock-photo-oil-drilling-rig-tanghai-county-of-hebei-province-oil-fields-in-china.htm


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Marc Schmidt

Die Börsenblogger ist das einfache und direkte Sprachrohr von Journalisten und deren Kollegen, die teils schon mit jahrzehntelanger Arbeits- und Börsenerfahrung aufwarten können. Auch als professionelle Marktteilnehmer. Letztlich sind wir alle Börsenfans. Aber wir vertreten in diesem Blog auch eine ganz simple Philosophie: Wir wollen unabhängig von irgendwelchen Analysten, Bankexperten oder Gurus schreiben, was wir zum aktuellen (Börsen-)Geschehen denken, was uns beschäftigt. Das kommt Ihnen, dem Leser, zu Gute.

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