Virtuelle Agrana-HV 3.7.20: Extrem, sogar Wirecard war Thema; Agrana-Vorstand hat keine Agrana-Aktien (Günter Luntsch)

Virtuelle Agrana-HV 3.7.20. Die Agrana-HV war extrem: Dankenswerterweise wurden die Wortmeldungen bis ins kleinste Detail vorgelesen. Aber auf einer "echten" HV wäre es kaum möglich, lang und breit über angeblich fehlende Nachhaltigkeitsparameter bei der Vorstandsvergütung, über etwaige Wirecard-Probleme bei den Abschlussprüfern oder über Rübenanbauflächen zu referieren, die geballte Schwarmintelligenz würde längst mit gutgemeinten Ratschlägen ("Was redet der so lang? Das Essen wird kalt!") die Gespräche in die richtige Bahn lenken. Dafür gab es auf dieser HV keine Pausen, es gab keine Lücken bei den Wortmeldungen, die Rednerliste war bis zum Schluss gut gefüllt. ARV Hameseder verlas zu Beginn die Zahl von 53,344.161 angemeldeten Aktien. Vorstandsvorsitzender Johann Marihart freute sich, für das am 29.2.2020 endende Geschäftsjahr ein von 66,6 auf 87,1 Mio Euro gestiegenes Ebit und einen von 2.433 auf 2.481 Mio Euro gestiegenen Umsatz zu berichten. Die Ebit-Marge sei von 2,7% auf 3,5% gestiegen. Der Gewinn pro Aktie entspreche mit 0,77 Euro der vorgeschlagenen Dividende pro Aktie. 102 Mio Euro habe man bis Ende November 2019 in den Ausbau der Weizenstärkeanlage 2 gesteckt. Man könne 1,2 Mio Tonnen Getreide pro Jahr bzw. 3.300 Tonnen pro Tag verarbeiten. Bei Apfelsaftkonzentrat hätten wir mehr Nachfrage erhofft, aber die Lager seien noch voll. Bei Wellpappe und Rohpappe hätten wir leider einen neuen Wettbewerber aus Ungarn. Ethanol habe einen kurzfristigen Abfall auf 605 Euro pro m3 gehabt. Agrana habe Marroquin Organics aus Santa Cruz in Kalifornien (Anm: Schöne Homepage, sie geben bereits stolz ihr "Global headquarter Gmünd" an: https://marroquin-organics.com/) übernommen, ein Unternehmen mit 20jähriger Erfahrung mit gentechnikfreien Produkten, unser langjähriger US-Vertriebspartner mit 20 Mio US-Dollar Jahresumsatz. Bei Zucker habe es eine kurze Erholung Ende 2019 gegeben, aufgrund einer schwachen Ernte in Indien, aber Brasilien exportiere jetzt mehr Zucker, statt ihn für die Alkoholproduktion zu verwenden (Anm: Gesunkene Ölpreise, Alkoholproduktion nicht rentabel). Unter anderem aufgrund von Trockenheit sei die Rübenanbaufläche in Österreich auf 26.200 Hektar gesunken. Österreich habe 26% Bioflächenanteil, Biofläche werde in den seltensten Fällen für Zuckerrübe verwendet.

Für Vorstand Stephan Büttner war auch das auf unter 1.000 Euro pro Tonne gesunkene Apfelsaftkonzentrat "aufgrund niedriger Rohstoffpreise bei der Ernte 2018" das erste anzusprechende Thema. Anm: Es ist mir jetzt ein bisserl rätselhaft, wie manche Diskonter zu diesem Preis inkl. MWSt den Sirup in 1,5-Liter-Gebinden an den Endverbraucher verkaufen können, oder handelt es sich nicht um das gleiche Produkt? Gut, wer weiß, was da drin ist, bestimmt nix aus dem Ybbstal. Laut Büttner haben wir Leerkosten aufgrund der Unterauslastung unserer Kapazitäten. Wir erfuhren, dass 9.342 Vollzeitäquivalente für den Konzern arbeiten, davon 6.194 in der Frucht, 1.087 in der Stärke und 2.061 im Zucker. Anm: Die Arbeitsintensität in der Frucht ist beachtlich, Stärke und Zucker sind gemeinsam halb so stark. An neuen Rückstellungen fand Büttner 0,4 Mio für Rechtsberatung Lemarco und 0,3 Mio für den Einspruch gegen eine Steuerschuld in Rumänien erwähnenswert. Zusätzlicher Zinsaufwand wegen IFRS16 sei in einer Höhe von 1 Mio Euro ausgewiesen. Man habe ein Schuldscheindarlehen über 200 Mio Euro aufgenommen. 577 Mio Finanzverbindlichkeiten minus 113 Mio Wertpapiere und Zahlungsmittel ergäben 464 Mio Euro Nettofinanzschulden. Auf Schlusskursbasis zahle man 4,4% Dividendenrendite.

Als Agrana habe man laut Marihart keinerlei Kurzarbeit beanspruchen müssen. "Auch heute noch produzieren alle unsere Werke." Man habe den Spagat zwischen Home-Office und voller Produktion zu bewerkstelligen. Zu 75% seien wir ein Nahrungsmittelbetrieb. 10.000 m3 Alkohol hätten wir zu Desinfektionsmittel verarbeiten können. Anm: Betrifft alles das Q1 2020/21. Am 8.7. sei Ex-Dividende-Tag. Laut ARV solle der Aufsichtsrat 325.000 Euro insgesamt bekommen, das Geld solle der Aufsichtsrat unter sich aufteilen. Es seien 8 Kapitalvertreter und 4 vom Betriebsrat entsandte Mitglieder im Aufsichtsrat gewesen. Ein Mandat werde nun frei, die Geschlechterquote solle gesamt (also Kapital und Betriebsrat in einem Pool) erfüllt werden, es sei daher nötig, eine Frau in den Aufsichtsrat zu wählen. Zur Wahl stehe Rechtsanwältin Andrea Gritsch. Diese stellte sich vor: ihre Schwerpunkte als Anwältin, und sie habe zwei kleine Kinder. Um 12:24 h, also 1 h 24 min nach Beginn, war die Präsentation abgeschlossen. Es wurde verlesen, dass 131 Aktionäre mit 53,118.558 Aktien durch die vier besonderen Stimmrechtsvertreter vertreten würden.

Aktionär Josef Baumüller sah den Einfluss einer Dividendenausschüttung auf die variablen Vorstandsbezüge "rückwärtsgewandt", er sprach von Reputationsrisiko und dem Setzen fehlleitender Anreize, von Green- und Bluewashing, es sei schade um die Bemühungen um den schönen Nachhaltigkeitsbericht. Er forderte eine Änderung der Vergütungspolitik. Ich hatte den Eindruck, das sollte in erster Linie eine Anregung sein, weniger ein bis ins Detail ausformulierter Antrag. Die Verlesung des Antrags dauerte 11 Minuten. Um 12:35 h begann die Generaldebatte. Rupert-Heinrich Staller ließ für die Staller Investments GmbH vorlesen, dass die GmbH als langjährige Aktionärin im letzten Jahr aufgestockt habe, sie sei nur mit einem Teil der Aktien angemeldet. "Promise and deliver" sei das erste Gebot, Agrana habe geliefert, was versprochen worden sei. Besonders dankte er Hannes Haider für die verlässliche IR-Arbeit. Er erbat Auskunft über die Kosten von Notar Brix für die HV 2019. Die Dividende sei gesunken, die Prämien aller Vorstände für das Vorjahr hätten sich nachhaltig gesteigert, der Durchschnitt der Dividende der letzten 3 Jahre fließe in die Berechnung der variablen Vorstandsvergütungen ein. Die Dividende sei dem "Kapitalbedarf der ewig Bedürftigen Südzucker und Raiffeisen" geschuldet. Statt in die Zukunft fließe das Geld in die Taschen der Vorstände. Er fragte, wie der Auswahlprozess für die AR-Kandidatin verlaufen sei. Er ließ eine Passage aus der Fachzeitschrift "Active Börsianer Brief des Börse Social Network Club" vom 29.6.2020 vorlesen, wo es um sinnentstellendes Zusammenfassen von Aktionärsfragen und nur teilweise oder gar keine Beantwortung derselben auf der heurigen FACC-HV ging, und wo Rechtsanwalt Richard Wolf von der Kanzlei Wolf Theiss den Vorsitz geführt hat. Wolf sei am Vortag der HV im Ferrari am Werksgelände der FACC vorgefahren, zu verzweifelten Menschen, die aktuell um ihre Arbeitsplätze fürchten, protzig und völlig losgelöst. Er fragte die AR-Kandidatin, ebenfalls von der Kanzlei Wolf Theiss, was sie von so einem Verhalten halte. Den ARV bat Staller, Marihart eine Ehrenrunde bis zur HV 2021 zu gewähren, damit sich die Aktionäre gebührend auf einer Präsenz-HV von ihm verabschieden können. Marihart bat er, es nicht so zu machen wie "Raffzahn Eder", lieber bescheiden zu bleiben, "es wendet keine Not". Hameseder sagte zu, Marihart gebührend verabschieden zu wollen. Anm: Kaufgrund, es wird wohl Alkohol auf der nächsten HV geben.

Ein anderer Aktionär fragte nach den Gründen für den Verkauf von Fiji, und warum die Beteiligung am Demenz-Startup BM Health GmbH (Anm: https://www.brain-metabolics.com/) nicht unter den Beteiligungen angeführt sei, wie hoch unsere Beteiligung sei, und wer die Mitgesellschafter seien. Weiters fragte er nach dem Kaufpreis für Marroquin im März 2020, und die "Coronatauglichkeit" des Geschäfts- und Firmenwerts von 262 Mio Euro interessierte ihn. Weiters, ob schon die Nachfolge für Marihart geplant sei.

Büttner antwortete, die Gesamtkosten von Notar Brix für die HV seien 10.000 Euro gewesen, sonst seien keine Kosten für Notar Brix angefallen. Gemäß Syndikatsvertrag gebe es ein Vorschlagsrecht für den Kernaktionär, somit werde dieser Vorschlag der HV unterbreitet. Aufgrund der Diversität seien wir sehr froh über diesen Vorschlag gewesen. Laut Hameseder sei man auch von ihrer Kompetenz überzeugt, seines Wissens habe Südzucker bei der Suche und Auswahl auf keinen externen Dienstleister zurückgegriffen, die Agrana habe es jedenfalls nicht getan. Die AR-Kandidatin sagte, aufgrund der Rechtsanwaltsordnung könne sie zu Klienten und Umsätzen mit diesen nichts sagen. Die Frage hatte sich auf Südzucker und Raiffeisen bezogen. Zum Kollegen könne sie nichts sagen, sie fahre einen Seat. Hameseder erklärte zur Suche nach einer Nachfolge für Marihart, man suche jemanden mit Weitblick und gutem CV, langjährige Führungserfahrung solle diese Person mitbringen. Zur Betainkristallisationsanlage sagte Vorstand Fritz Gattermayer, es gehe hier um Hitzestress bei Tieren, Hauptmarkt wäre die Nordhalbkugel. Büttner sagte über Fiji, dass es leider für uns nicht profitabel gewesen sei, das operative Ergebnis sei mit 0,7 Mio Euro negativ gewesen. Das Management dort habe sich sehr bemüht, aber die Umweltbedingungen seien negativ gewesen. Wir hätten bei Nichtverkauf auch einen weiteren Kapitalzuschuss leisten müssen. Der Verkaufspreis habe 1 Mio Euro betragen, nach Abzug der Verluste habe man im abgelaufenen Jahr einen Ertrag von 586.000 Euro erzielt. Weiters sagte Büttner, bei BM Health handle es sich um eine sehr kleine Beteiligung, die weiteren Gesellschafter könne man dem Firmenbuch entnehmen, es seien 6 Privatpersonen. Marroquin habe man um 11 Mio Euro gekauft, 9 Mitarbeiter, 19 Mio Euro Umsatz, 1,7 Mio Ebit. Das Verfahren Lemarco sei noch nicht vom Gericht entschieden, man habe dafür die im Geschäftsjahr angefallenden Zinsaufwendungen zusätzlich rückgestellt. Die Laborflächen in Frankreich wolle man erweitern. In den Prozessrückstellungen seien auch Arbeitsrechtsverfahren enthalten. Die Werthaltigkeitsprüfung habe man mit 29.2.2020 angepasst, man gehe davon aus, dass keines der Segmente wesentliche Einbußen erleiden werde. Der Vorstand habe keine Agrana-Aktien, ein AR-Mitglied habe 20 Aktien seit dem Börsegang 1991.

Auf Baumüllers Nachhaltigkeitsbedenken wurde lange und ausführlich geantwortet, also hier brauchte der Vorstand wirklich Langmut. Ich glaube, bei derart in die Tiefe gehenden Fragen hätte ich es nicht geschafft, alle ruhig und gelassen bis ins Detail zu beantworten. Die Antworten würden wohl auch die meisten Leser ermüden, sagen wir es kurz: Agrana schaue darauf, dass in den Lieferketten die Menschenrechte und sonstigen Standards eingehalten werden. Bei der Auswahl der Prüfer schaue man auch auf Rang und Einbindung in der Organisation, genauso auf zeitgemäße Prüfungstools. Anm: Die plötzliche Angst, Agrana könnte aufgrund der weltweiten Geschäfte ein Kartenhaus wie Wirecard sein, halte ich für unbegründet, ich halte Wirecard für ziemlich einzigartig. Was den Klimawandel betreffe, so sei dieser für den Maisanbau eher positiv. In der Ukraine habe man 853 Vollzeitäquivalente. Wir erfuhren, wieviel Agrana für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tue. Unsere Schulden würden uns aktuell 1,25% kosten. Auf Berthold Bergers Frage nach den Kosten für die Stimmrechtsvertreter erfuhren wir von 2.400 für IVA, 2.800 Schönherr, 2.800 Hügel, 2.300 Oberhammer. Der Geschäftsbericht sei in einer Auflage von 2.200 Stück (1.600 Deutsch, 600 Englisch) erschienen, die gesamte Erstellung habe 150.000 Euro gekostet. Der Anteil der Maisstärkesackerln in den Supermärkten betrage 20 bis 25%. Die durchschnittliche Zahl von Leihmitarbeitern bei Agrana habe 521 betragen.

Für die Vergütungspolitik habe man keine externen Berater zugezogen, auch nicht von Südzucker abgeschrieben. 229 Zuseher seien online, man habe bisher 313 Zugriffe gehabt. Kosten der IR-Abteilung betrügen 390.000 Euro, einschließlich der Geschäftsberichtkosten von 150.000. Außer bei Brain Metabolics (BM) halte man keine Beteiligung an einem Startup, BM nur wegen ihrer Nähe zu unserem Geschäft. Die Kinderoper habe man mit 290.000 Euro gesponsert, bei Beschilderung, im Logo und bei Inseratenschaltungen sehe man den Hinweis auf Agrana. Pünktchen und Anton, Cinderella, Peter und der Wolf, Karneval der Tiere, es seien gute Vorstellungen gewesen. Anm: nach einem kurzen Blick auf die Seite der Kinderoper würde ich mir wünschen, besser gesehen zu werden, oder es sponsern dieses Jahr andere, um 290.000 würde ich mir schon ein bisschen mehr Visibilität wünschen. Staller gab bekannt, gegen die AR-Kandidatin zu stimmen, ihre Antworten gefielen ihm nicht. Meine Meinung grundsätzlich zur neuen Mode, vor allem Anwältinnen in die Aufsichtsräte zu wählen: Unter Diversität verstehe ich nicht das Schöpfen aus dem gleichen Pool, man könnte hier ruhig innovativer sein, es gibt ja viele Berufsgruppen. Die meisten Gegenstimmen gab es mit 3,24% bei der Vergütungspolitik. Um 15:07 Uhr war die HV zu Ende. Ich hoffe, ich habe einen guten Querschnitt der HV vermitteln können.
Agrana ( Akt. Indikation:  18,70 /18,80, 0,81%)

(Der Input von Günter Luntsch für den http://www.boerse-social.com/gabb vom 06.07.)



(06.07.2020)

AR-Kandidatin Andrea Gritsch, Agrana-HV 3.7.2020


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Günter Luntsch

#gabb Autor, siehe http://boerse-social.com/...

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