Wiener Börsestammtisch-Macher im Talk (Christian Drastil interviewt Ralph Gollner)

Christian Drastil: Lieber Ralph, Deine bisher durchgeführten Stammtische haben mich zu diesem gemeinsamen Versuch mit Unternehmensvertretern motiviert. Danke für die unkomplizierte Zusammenarbeit. Wie sind Deine  Stammtische entstanden?
Ralph Gollner: Begonnen haben wir im Q1/ 2015. Ich habe damals den Entschluss gefasst, eine Themengruppe Börse für Österreich in Facebook zu gründen. Die Resonanz war recht gut, so waren wir recht rasch ca. 200 Personen in der damaligen Facebook-Gruppe. Ein „Admin-Kollege“ aus Deutschland hat die Österreich-Gruppe jedoch von einem Tag auf den anderen dann abgedreht , er hat mich mit dieser Aktion also überollt. Dann mussten wir von Neuem beginnen, unserem Stamm wieder aufzubauen:  Der harte Kern hatte Telefon-Nummern getauscht, aber viele interessierte Mitleser haben wir verloren. Aus der Gruppe sind die Treffen entstanden.

Unterschiede Facebook vs. Live?
Man findet heraus, wer zum harten Kern gehört. Bei den Live-Treffen waren in Summe sicher 60 Personen dabei. Nachdem wir ja eine österreichweite Gruppe sind, haben wir auch Mitglieder ex-Wien, eine Anreise nach Wien ist nicht immer so leicht möglich, aber es nehmen einige auf sich. Aktuell prüfen wir 10 neue Mitglieder, diese sind also auf einer Warteliste.

Wieviele Treffen gab es?
So 15 bis 20 Treffen . Steigen die Börsen tendenziell, so ist auch die Motivation, sich live über das Thema Börse bei Wein, Bier & Co auszutauschen, noch grösser. Anfangs haben wir gar Arbeitsgruppen gebildet, bei welchen die Teilnehmer mit Laptops und Tablets anmarschiert sind. Wir haben Erfahrung sammeln dürfen bzgl. Coworking und Gedankenaustausch (lacht).

Und die Locations?
Immer unterschiedlich: Mal in der Wohnung von einer Teilnehmerin, mal im Steakhouse, mal im Cafehaus, bei den Lokalen am WU-Campus aber eben auch in der Alten Kaisermühle.

Ich bin angetan vom kollektiven Know-How und den Themen. Wie geht Ihr bezüglich Gruppenwissen vor?
Ich bin seit zwei Jahren auch in Sachen Finanzbildung, neudeutsch: Financial Education unterwegs. Das Wissen, welches  ich in den Jahren seit der Dotcom-Bubble zusammengetragen habe (Wirtschafts-Studium, Fondsprüfung, Corporate Treasury) wollte ich final mit Anderen teilen bzw. wollte ich selber auch vom Wissen und der Börse-Erfahrung der Anderen profitieren: Win-win, sowohl für die absoluten Anfänger in der Materie wie auch für die börsenerfahrenen alten Hasen. Das Verbinden von Theorie und erlebter Praxis ist für mich das, was das Spannende an der Börse ausmacht. Bei den Stammtischen tauschen wir uns auch über bereits gemachte Fehler aus. So können wir als Kollektiv auch von den Fehlern der Anderen lernen.

Behavioral Finance ist Dein Lieblingsthema ...
Ja, genau - dies fasziniert mich an der Börse. Das man eben versucht, das Thema „Emotionen“ wissenschaftlich zu analysieren. Manch einer meint gar: 60% an der Börse ist Psychologie. Hier gibt es Tricks, wie man seine Geduld und seine Coolness trainieren kann. Hier hilft es eben auch insbesondere, sich mit Anderen auszutauschen, die auch aktuell „Skin in the game“ haben (somit mit etwas Geld im Markt investiert sind) - somit zur gleichen Zeit die gleichen (positiven, wie negativen) Erfahrungen an den Märkten mitmachen. Der Spruch: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ hat besonders gut im August 2015 oder im Q1-2016 gepasst. Das Problem ist an der Börse immer: Der nächste Mini-Crash kommt bestimmt - evtl. in einem Jahr, evtl. erst in 2 Jahren, aber evtl. auch nächste Woche. Mit Hilfe der Behavioral Finance, also dem Wissen um unsere möglichen Biases und Heuristiken lässt sich das Börsegeschehen manchmal mit der richtigen Lockerheit sehen.

Was mir auffällt: Früher waren Austro-Anleger zu 100 Prozent Börse-Wien-fixiert, bei Euch sind ATX & Co schon ein Thema, aber gefühlt nicht so stark ...
Dies hat sich wohl auch gewandelt, da die Big Techies in den USA, welche im S&P 500 recht schwer gewichtet sind, auch bei uns in Österreich im Alltag angekommen sind - und dies nicht erst seit 2 oder 3 Jahren. Ich spreche hier von FAMA - Aktien, wie Facebook, Alphabet, Microsoft, Amazon. Wer in einem breiteren Portfolio auch diese Aktien die letzten 2 oder 3 Jahre gehalten hat, hat trotz Währungsturbulenzen einen recht guten Schnitt machen dürfen. Weiters ist auch die Story hinter den genannten Unternehmen extrem spannend.

Du selbst postest via Facebook immer wieder, dass Du bei einigen österreichischen AGs zufriedener Langfristanleger bist. Wie gehst Du da vor?
Als Österreicher, der sich dazu entschlossen hat, Börsianer zu sein, muss man schon sagen: Hier in Österreich gibt es  sehr gut geführte Unternehmen, welche jedoch nicht so in der Öffentlichkeit stehen, wie sie es sich verdient hätten. Vorteil: 2016 fand man viele Unterbewertungen. Damals notierten einige österreichische Werte unter ihrem Buchwert bzw. haben gar einstellige KGVs aufgewiesen bzw. Dividendenrenditen von mehr als vier Prozent. Ex-post darf man es ja verraten: Polytec und Strabag waren nicht nur meiner Meinung nach - sondern auch laut mehreren Analysen -  in den Jahren 2015 und 2016 offensichtlich sehr preiswerte Aktien. Mittlerweile haben diese Unternehmen ihre eklatante Niedrigstbewertungen in Richtung „Fair value“ aufgeholt. Als Langfristanleger will ich jedoch nach dem starken Kursanstieg in Zukunft von den jährlichen Dividendenausschüttungen profitieren.

Verkaufen ist kein Thema?
Um den Zineszins richtig nutzen zu können, will ich am liebsten bei einzelnen Aktien „ewig“ investiert bleiben. Aber: Neben Fundamentaldaten konzentriere ich mich jedoch auch auf Makro-Daten, wie BIP, Inflation, auch Geldpolitik, sowie Sentimentdaten bzw. auf Charttechnik.  Offenes Geheimnis: Gerne kaufe ich meine Aktien im Q4 oder Q1 eines Jahres (Keyword: tricky summer seasons).  Im Sommer verkaufe ich dann doch auch den einen oder anderen Titel - sofern es denn sein muss...

Du hast wikifolios, ein paar andere von Euch auch. Wie wärs mit einem Schwarmwikifolio? Bzw.: Eine WhatsApp-Gruppe?
Das Praktische bei wikifolios ist, dass dies auch für Anfänger Paper-Trading auf einem anderen Level ermöglicht.
Transparente Depots sind eben extrem spannend. So sind in einem meiner eigenen Wikifolios über 80 Einzelwerte, welche grundsätzlich „ewig“ gehalten werden soll(t)en. Folgend meiner Erfahrungen in den Jahren 2000 und auch 2008 stellt jedoch auch ein intelligentes, dynamisches Risiko-Management (sprich: Teilverkäufe oder Verkäufe bei eklatant überbewerteten Aktien) immer eine Möglichkeit dar.
Genau diesen Ansatz würde ich gerne mit anderen besprechen, evtl. verfeinern - eine sehr gute Idee. Kürzlich hatte ich erst ein Gespräch mit einem deutschen Freund, der mir von einer Börsen-WhatsApp Gruppe berichtet hat. Wir haben auch einmal einen Versuch gestartet - dennoch ist wohl der Netzwerkgedanke wichtig - um solch ein Projekt am Laufen zu halten.

Wie hat es Euch heute gefallen?
Da hab ich in der Runde gefragt. Oft: „Keine Verbesserungsvorschläge, war super.“ Dazu: „Was man verbessern könnte - besseres Intro machen, eventuell Kurzvorstellungen“. Kulinarisch:  „Menü Top, aber Essen ist etwas spät gekommen“.

Aus dem "Börse Social Magazine #7" - 1 Jahr, 12 Augaben, 77 Euro. Ca. 100 Seiten im Monat, ca. 1200 Seiten Print A4



(20.08.2017)

Es Gruppiert sich wieder was in Österreich … - Börse Social Magazine #7


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Christian Drastil
Der Namensgeber des Blogs. Ich funktioniere nach dem Motto "Trial, Error & Learning". Mehrjährige Business Pläne passen einfach nicht zu mir. Zu schnell (ver)ändert sich die Welt, in der wir leben. Damit bin ich wohl nicht konzernkompatibel sondern lieber ein alter Jungunternehmer. Ein lupenreiner Digital Immigrant ohne auch nur einen Funken Programmier-Know-How, aber - wie manche sagen - vielleicht mit einem ausgeprägten Gespür für Geschäftsmodelle, die funktionieren. Der Versuch, Finanzmedien mit Sport, Musik und schrägen Ideen positiv aufzuladen, um Financial Literacy für ein grosses Publikum spannend zu machen, steht im Mittelpunkt. Diese Dinge sind mein Berufsleben und ich arbeite gerne. Der Blog soll u.a. zeigen, wie alles zusammenhängt und welches Bigger Picture angestrebt wird.
Christian Drastil

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