Zinswende: In der Fed beginnt die Lobbyarbeit (Gastautor, Marc Schmidt)

Wer etwas Großes verändern will, braucht Hilfe. Wer Hilfe will, muss andere überzeugen, dass die Veränderung gut ist und so beginnt nun die intensive Lobbyarbeit einiger Notenbanker, weil sie etwas verändern wollen.

Drei US-Notenbanker stimmten beim jüngsten Zinsentscheid gegen die Beibehaltung des aktuellen Zinssatzes. Sie wollten eine Zinsanhebung. Der Zinsschritt kam nicht, weil einfach noch nicht genügend Notenbanker überzeugt sind, dass eine Zinsanhebung wirklich gut ist. Der Konsens der US-Notenbank sagt immer noch: abwarten.

Soll diese Konsenshaltung verändert werden, dann braucht es gute Argumente. Um einen Zinsschritt im Dezember zu ermöglichen, ist viel Überzeugungsarbeit notwendig. So kam es am vergangenen Freitag zu einem eher seltenen Ereignis. Eric Rosengren, Vorsitzender der regionalen Notenbank von Boston, veröffentlichte auf der Homepage der Notenbank ein Statement.

In seinem Statement erklärt er, weshalb er gegen eine Beibehaltung des Zinssatzes gestimmt hat. Er will jetzt einen Zinsschritt, damit es zu keiner Rezession kommt. Dahinter stecken Jahrzehnte an Erfahrung und Daten. Die wichtigsten Punkte sind in der Grafik zusammengefasst.

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Die Notenbank hat ein duales Mandat, Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Preisstabilität ist noch nicht erreicht. Die Inflation hält sich beharrlich unter der Zielmarke von 2 %. Rechnet man Rohstoffpreise heraus, dann sind die 2 % etwas greifbarer. Sie sind ebenso greifbar, weil sich die Lohnsteigerungen derzeit bei deutlich über 2 % einpendeln.

Inflation ist kein gutes Argument, um die Zinsen nicht anzuheben. Was als Argument bleibt, das ist die Beschäftigungslage. Die Notenbank schätzt, dass die Arbeitslosenrate, die der Vollbeschäftigung gleicht, bei 4,5 % liegt. Derzeit liegt die tatsächliche Rate bei 4,9 %. Sie hat also noch etwas Luft, um zu fallen, bevor Vollbeschäftigung erreicht ist.
Janet Yellen hat die weiterhin niedrigen Zinsen begründet, indem sie einen positiven Trend auf dem Arbeitsmarkt herausstrich. Die Partizipationsrate steigt wieder. Es kommen also wieder mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt zurück, die zuvor entmutigt gar nicht mehr nach Arbeit gesucht hatten. Kehren diese Menschen nun zurück, dann kann die Beschäftigung steigen, ohne dass die Arbeitslosenrate signifikant fällt.

Rosengren befürchtet, dass es sich um einen vorübergehenden Faktor handelt. Beginnt die Partizipationsrate wieder zu stagnieren, dann ist die Vollbeschäftigung innerhalb weniger Monate erreicht.

Vollbeschäftigung klingt zunächst wie eine gute Nachricht. Betrachtet man die Arbeitslosenrate im historischen Kontext, dann zeigt sich, dass nach Erreichen der Vollbeschäftigung die nächste Rezession nicht lange auf sich warten ließ. Der Grund dafür ist einfach. Ist Vollbeschäftigung erreicht, dann überhitzt die Wirtschaft. Eine Überhitzung führt zu Ungleichgewichten, die die Wirtschaft letztlich aus den Fugen geraten lässt.

Rosengren lobbyiert aus diesem Grund für einen möglichst zeitnahen Zinsschritt. Kommt es nicht dazu, dann ist die Chance groß, dass die Wirtschaft überhitzt. Eine Rezession lässt sich dann nicht mehr vermeiden. Um den Aufschwung nicht zu gefährden, müssen die Zinsen also jetzt steigen.

Andere Notenbanker, allen voran Lael Brainard, sieht die Sache vollkommen anders. Sie ist der Meinung, dass die Zinsen noch lange niedrig bleiben müssen. Ein Zinsschritt kann helfen, eine Überhitzung zu vermeiden, doch wirklich wissen kann man das nicht. Bereits ein kleiner Zinsschritt kann zu einer Rezession führen. Sie sieht die Wahrscheinlichkeit eines Abschwungs höher, wenn die Zinsen jetzt angehoben werden. Da die Notenbank einem solchen Abschwung nichts entgegensetzen kann, weil die Zinsen bereits niedrig sind, darf der Aufschwung nicht abgewürgt werden. Das Risiko ist zu groß.

Mit diesen zwei absolut gegensätzlichen Positionen muss die Notenbank nun umgehen. Die einen wollen eine Zinsanhebung, damit der Aufschwung weitergeht, die anderen wollen keinen Zinsschritt, um die Erholung nicht zu gefährden. Viel weiter können Meinungen nicht auseinandergehen. Wer letztlich die Oberhand gewinnt, steht in den Sternen. Es zeigt jedoch, wie schwierig es für die Notenbanker ist, sich auf eine Linie zu einigen. Jeder lobbyiert für seine Überzeugung und tut dies auch öffentlich. Der Markt wird, so sehr er es sich wünscht, auch in den nächsten Wochen keine klare Linie vorfinden. Vermutlich wird sich der öffentliche Diskurs sogar noch verschärfen.

Dass die Zeichen immer mehr auf Zinserhöhung stehen, kann man nicht von der Hand weisen. Der Arbeitsmarktbericht für den Monat September ist noch ausständig, doch die Einkaufsmanagerindizes für das Gewerbe und für den Dienstleistungssektor sind wieder auf dem Durchmarsch nach oben. Das gilt insbesondere für den Dienstleistungssektor, der zwei Drittel der Wirtschaft ausmacht und für Notenbanker ausschlaggebend sein dürfte.

Autor: Clemens Schmale, Finanzmarktanalyst bei GodmodeTrader.de

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Bildquelle: dieboersenblogger.de



(06.10.2016)

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