Herr Fuchs, Ihre persönliche Einschätzung zum Event, bitte. Sind wir der Kapitalmarktwende näher gekommen?
Karl Fuchs: Aus meiner Sicht ist es essenziell, die Politik als Interessensvertretung der börsenotierten Unternehmen und Finanzdienstleister auch beim Thema ‚Kapitalmarkt‘ abzuholen. Ganz unabhängig vom Inhalt, wo sich jeder Besucher sein eigenes Bild machen konnte, finde ich es sehr positiv, dass sich beide Regierungsvertreter bereit erklärt haben, sich der Diskussion zu stellen. Das ist nicht selbstverständlich. Der Titel der Veranstaltung war lediglich ein Aufhänger. Auch passend gewesen wäre ‚Start-up Kapitalmarkt Österreich‘.
Sehen auch Sie den Nullpunkt, wie von Fritz Mostböck faktenunterlegt skizziert?
Wenn man sich die von Herrn Mostböck präsentierten Zahlen zu den Marktkapitalisierungen, gemessen am BIP, weltweit vor Augen führt, dann muss man zuerkennen, dass wir gerade in Österreich ein gewaltiges Aufholpotenzial haben. 34%, gemessen am BIP, ist europaweit, wo wir einen Durchschnitt von 65% haben, im unteren Drittel. Die Schweiz ist mit 224% da eine Klasse für sich. Das hat aber nicht nur mit dem Kapitalmarkt zu tun, sondern vor allem mit einer attraktiven Standortpolitik.
Kai Jan Krainer meint, dass die strengeren Auflagen in Österreich die heimischen Unternehmen zu Vorreitern machen würden. Nun geht das oft zulasten der Wettbewerbsfähigkeit, ablesbar im Zahlenmaterial der Firmen. Ihre Meinung?
Österreich hat zweifelsohne tolle Unternehmen, die den internationalen Wettbewerb nicht scheuen müssen – noch nicht. Den Ansatz Krainers, dass strengere Auflagen die heimischen Unternehmen wettbewerbsfähiger machen würden, teile ich nicht. Nicht jede Regulierung ist per se schlecht, aber zu viel Regulierung und vor allem auch eine überschießende Umsetzung von EU-Regularien hemmt die heimische Industrie und Wirtschaft und geht ganz klar zulasten der Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist auch empirisch nachweisbar.
Die Umsätze an der Wiener Börse steigen, getragen durch Algo Trading, während klassische Kundenumsätze zurückgehen. Wie stehen Sie zu Algo Tradern?
Dass an den Weltbörsen nichts mehr ohne den automatisierten Computerhandel funktioniert, ist ein Zeichen der Zeit. Diese haben sich europaweit im 21. Jahrhundert bereits mehr als verfünffacht und deren weiteres Wachstum wird nicht mehr zu stoppen sein. Ein Schwerpunkt der Börsen weltweit wird hier vor allem darin liegen, sämtlichen Manipulationsmöglichkeiten von Software, etc. Einhalt zu gebieten. An die Schnelllebigkeit wird man sich aber gewöhnen müssen.
Welche Schwerpunkte wird das Aktienforum 2016 setzen und vor allem: Wie kann man den Privatanleger, dessen Beteiligung am Marktgeschehen auf ein erschreckend niedriges Niveau zurückgefallen ist, zurückholen?
Ich glaube, wenn man die Politik überzeugen kann, dass der Kapitalmarkt definitiv kein ‚Ersatzcasino‘, sondern eine wichtige Finanzierungsplattform ist, die Wertschöpfung generiert und Arbeitsplätze schafft, hat man bereits sehr viel geschafft. Dies wollen wir auch im Jahr 2016 durch diverse Studien belegen. Die Ergebnisse wollen wir dann abermals mit der Politik diskutieren und Lösungswege aufzeigen. Das Aktienforum wird am Ball bleiben.
Der APA-Artikel
Wien (APA) – Eine Verschlechterung der Börsenkultur in Österreich sahen die meisten Diskutanten einer vom Aktienforum veranstalteten Podiumsdiskussion und wünschen sich ein kapitalmarktfreundlicheres Umfeld. Die regulatorischen Bedingungen halten derzeit sowohl Unternehmen als auch Anleger von der Börse ab, so der Grundtenor der von Politberater Thomas Hofer moderierten Diskussion.
Für den Erste Group-Chefanalysten und ÖVFA-Präsidenten Friedrich Mostböck ist die Kapitalmarktkultur bereits auf einem „Nullpunkt“ angekommen. Entsprechend sei nicht nur eine Kapitalmarktwende, sondern ein „Neustart“ nötig. Im öffentlichen Verständnis sei die Börse oft noch ein „Pfui-Eck“, so ÖVP-Finanzsprecher und Obmann des Fachverbandes der Pensionskassen, Andreas Zakostelsky. Tatsächlich sei eine Börsenotiz ein wichtiger Entwicklungsmotor für ein Unternehmen, waren sich die meisten Diskutanten einig. Viele österreichische börsenotierte Unternehmen seien auch im internationalen Vergleich sehr gut „herzeigbar“, so Mostböck.
Österreich liege im Verhältnis von Marktkapitalisierung zur Wirtschaftsleistung aber deutlich hinter anderen Ländern. Auch der Kurszettel der Wiener Börse ist in den vergangenen Jahren merklich geschrumpft. Der Börsenabgang einiger mittelgroßer Unternehmen sei zwar bedauerlich, noch weitaus schmerzlicher für den Kapitalmarkt wäre aber ein Rückzug eines Börsenschwergewichts, erklärte voestalpine-Finanzvorstand und Präsident des Aktienforums, Robert Ottel. Das Geschäftsmodell der Wiener Börse sei abhängig von wenigen großen Werten; „wenn einer von denen weg ist, ist es hin“, so Ottel.
Auf der anderen Seite seien immer weniger Unternehmen bereit, an die Börse zu gehen, so Ottel. Dies liege auch an mangelnden Anreizen und dem großen Regulierungsaufwand. Als „Gold-Plating“ kritisierten mehrere Diskutanten die Umsetzung von EU-Direktiven in Österreich. Das heißt, Vorgaben von der EU werden hierzulande oft strenger als notwendig in nationalem Recht implementiert, so Ottel und Zakostelsky. Für Zakostelsky ist das ein elementares Problem der ganzen Finanzdienstleistungsbranche.
Anderer Meinung ist SPÖ-Budgetsprecher Kai Jan Krainer. Werden Regeln, die später für alle gelten, bei uns zeitgerecht oder früher umsetzt, mache das heimische Unternehmen nur fitter. So haben viele Unternehmen davon profitiert, dass sie wegen der Vorreiterrolle Österreichs bei Umweltgesetzen früher als andere gezwungen waren, sich darauf einzustellen.
Scharf kritisiert wurde von einigen Diskutanten die Höhe der Kapitalertragssteuer (KESt). Die KESt auf Aktien trage kaum zu den Staatseinnehmen bei und treffe meist auch nicht große Investoren, sondern schrecke vor allem Privataktionäre ab, so Mostböck. Damit sei der Aktionärsanteil in Österreichs Bevölkerung über die Jahre von sieben bis acht auf rund drei Prozent zurück- gegangen.
Für Krainer haben nicht die KESt, sondern vielmehr Skandalfälle wie Meinl European Land die Anleger verschreckt: Viele Erstanleger „haben sich hier die Finger verbrannt“. Ottel kritisierte, dass bei derartigen Skandalfällen nicht zeitnah reagiert
werde.
Verbesserungen erhoffen sich mehrere Diskutanten von einer vereinfachten Prospektpflicht. Der Aktionsplan der Kommission zur Kapitalmarktunion wurde am Podium begrüßt. Unterschiedlich wurde die regulatorische Erleichterung von Crowdfunding bewertet. Für Zakostelsky war das neue Crowdfunding-Gesetz „längst überfällig“. Krainer kritisierte, dass hinter Crowdfunding oft hochriskante Eigenkapitalmodelle stecken. Für Ottel sind einige Crowdfunding-Anlagen mehr eine freiwillige Spende für ein Projekt als eine Veranlagung.
Ambivalent wurden weitere Privatisierungsschritte gesehen. Für Krainer ist ein hundertprozentiger Staatsbesitz in bestimmten Unternehmen ein wichtiges Instrument, um politische Infrastruktur-Ziele umzusetzen. Nur ein staatsnahes Unternehmen könne etwa die Netzabdeckung in Gebieten sicherstellen, die ein rein privater Telekom-Konzern aus Rentabilitätsgründen nicht abdecken würde.
Mostböck sieht reinen Staatsbesitz kritisch, da in der Praxis nur durch die Börse der nötige Effizienzdruck komme. Mostböck wünscht sich aber einen Staats-Minderheitsanteil bei für die Infrastruktur wichtigen Unternehmen in Bereichen wie Telekommunikation, Energie, Wasser oder Verkehr. (Schluss) mik/tsk