08.09.2013, 11621 Zeichen
Analysiert man, wie Filialbanken heute von Privatkunden genützt werden, kann man zum Schluss kommen, dass diese bereits von vielen Kunden wie eine Direktbank genützt werden. Zumindest was die alltägliche Verwendung von Girokonto, Sparkonto, etc. betrifft wenden sich immer mehr von den Filialen ab und kommen mit Online- und Mobile-Banking gut aus.
Dazu ein paar Zahlen aus meinen Kundenstudien. Nur rund 30% der Kunden nützen heute noch den Bankschalter als Zugang zu Ihrem Bankkonto. Ok, den Banken ist es ohnehin lieber, wenn SB-Geräte genützt werden. Aber mehr als 40% nützen auch die SB-Geräte in ihrer Bankfiliale nicht mehr. Das heißt, dass 40% der Kunden überhaupt nicht mehr wegen ihrer alltäglichen Geldgeschäfte in die Filiale kommen, nicht mal an die SB-Geräte (ich bin einer davon). Weitere 30% nützen nur mehr SB-Geräte und haben dabei wenig oder gar keinen Kontakt mit Bankmitarbeitern, nicht zuletzt weil diese vielleicht schon Feierabend gemacht haben, wenn die Kunden kommen. Summa summarum haben Banken also zu rund 2 Dritteln ihrer Kunden kaum bis keinen Kontakt aufgrund der laufenden Nutzung der wichtigsten Standardprodukte. Das ist ein Vielfaches der Anzahl an Kunden, die Direktbanken bisher gewinnen konnten.
Dahinter steht ein mittlerweile spürbarer Wandel in der Beziehung zwischen Bank und Kunde. Während früher die Filiale “der Ort” der Bank und der Betreuer “das Gesicht” der Bank war, sind dies immer mehr der PC, das Smartphone oder Tablet sowie die Applikationen, die die Bank den Kunden zur Verfügung stellt (also das Online- und mobile Banking). Wenn Kunden 99% ihrer Bankkontakte mit diesen Applikationen haben, dann ist das für sie die Bank. Bank ist nicht mehr ein Ort wo man hingeht, sondern etwas, das man selbst tut. Überspitzt formuliert ist also der Kunde heute vielfach der Banker.
Wie ich in Kundenstudien immer wieder feststelle, gibt es mittlerweile viele Bankkunden, die von der Bank hinter dem Banking-Frontend am PC, Smartphone oder Tablet gar nichts mehr wissen und schon gar nicht von dieser belästig werden wollen. Sie wollen eine funktionierende Applikation. Viele davon zu weit niedrigeren Kosten als heute, da sie ja das Gefühl haben, alles selbst zu erledigen und die niedrigen Referenzpreise von Direktbanken kennen. Für sie ist Banking ein Tool. Ein Bankmanager erzählte mir kürzlich von einer Ferialpraktikantin, die am Schalter eingesetzt werden sollte und partout nicht verstand, wozu es einen Schalter überhaupt braucht. Es geht ja schließlich alles online oder am Handy. Für die junge Generation ist das kein Wandel, sie kennen es nicht anders. Sie repräsentieren die Transformation am deutlichsten, auch wenn sie aktuell noch nicht der Treiber sind (sein können). Das sind ihre Eltern.
Aktuell zahlen diese Kunden, die Filialbanken wie eine Direktbank verwenden, noch die Filialpreise. Offensichtlich werden zum Beispiel die Kosten des Gehaltskontos, das es im Markt ja auch gratis gibt, in Kauf genommen und als eine Art “Eintrittsgeld” für den Zugang zum persönlichen Betreuer oder zumindest zu lebenden Personen gesehen (wenn nicht direkt zugeordnet und bekannt). Ich zahle Monat für Monat oder Quartal für Quartal und dafür kann ich im Falle des Falles wo hingehen und mit jemanden sprechen, den ich kenne. Für den Fall der Fälle, in dem man dann Beratung braucht oder sich einfach bei jemand Lebendigen beschweren möchte. Diese Kunden zahlen also nicht wirklich für das, was sie erhalten. So lange sie das tun, ist das für Filialbanken ja gut.
Die Frage ist, wie lange dieser Kunden das tun werden. Wie lange werden sie für die Vorhaltung von Beratung und persönlicher Betreuung erhöhte Kosten bei Standardprodukten in Kauf nehmen, deren Manipulation sie selbst durchführen und die sie billiger oder gratis bekommen könnten? Wahrscheinlich nicht für immer. Zumindest immer mehr werden die Leistungen und Angebote hinterfragen. Viele haben ja nicht ständig Beratungsbedarf. Und wenn ich 5, 10 Jahre keine Beratung brauchte, beginnt man zu überlegen. Und dann kommt da noch das heute geringere Vertrauen in die Bank und die Beratung hinzu.
Die schlechte und traurige Nachricht oder Erkenntnis für Filialbanken ist, dass sich viele und immer mehr Filialen schon jetzt nicht mal mehr mit diesen “leistungslosen Erträgen” rechnen. Was also, wenn diese Entwicklung – wie zu erwarten – weiter geht?
Die erste, nahe liegende Reaktion auf diese Entwicklung ist: Filialen zu sperren. So wie es die UniCredit Bank Austria angekündigt hat und die Erste Bank tut, die weniger darüber redet. Filialen, die sich nicht mehr rechnen, werden aufgelassen oder mit anderen “zusammen gelegt”, was weniger dramatisch klingt. Auf den ersten Blick logisch und nachvollziehbar. Eine Reaktion, für die man auch nicht viel nachdenken muss. Eine einfache und schnelle Lösung des Problems.
Aber ist es wirklich eine Lösung? Schreitet die oben beschriebene Entwicklung voran, wird es aber nicht bei der einen Schließungswelle bleiben. Auf Filialschließungen folgen Filialschließungen, weil sich über Kurz oder Lang dann die nächsten Standorte nicht mehr rechnen. Der Grund ist, dass nur Symptome bekämpft werden. Dass sich die Filiale nicht mehr rechnet liegt darin, dass sie offensichtlich ihren Kundennutzen zumindest zum Teil verloren hat. So lange dieser Verlust an Kundennutzen nicht gestoppt oder umgekehrt wird, wird es mit den Schließungen weitergehen (müssen).
Für Filialbanken bedeutet das Schließen einer signifikanten Anzahl an Filialen nichts anderes, als das sie ihre Wettbewerbsvorteile verliert. Im Besten Fall transformiert sich die Bank zu einer neuen Form, zu einem neuem Geschäftsmodell. Aber das ist noch nirgends erkennbar. Eine Filialbank ist eine Bank mit Filialen. Wettbewerbsvorteile, zum Beispiel gegenüber Direktbanken, erzielt eine Filialbank aus der Tatsache, dass sie Filialen in der Fläche betreibt und dort Mitarbeiter beschäftigt, die sich persönlich um die Betreuung und Beratung der Kunden kümmern. Fällt dies zunehmen weg, fallen auch Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Banktypen weg. Man wird austauschbarer. In den Bezirkshauptstätten werden sich Filialen wohl immer rechnen. Aber wenn sich alle Banken und Bankengruppen dann nur mehr dort tummeln und sonst nichts an ihrem Tun ändern, wird sich das auf die Wettbewerbsintensität auswirken. Filialen schließen ist wie eine Kapitulation. Man gibt Territorium auf. Nicht so drastisch wie im Krieg, sondern in Bezug auf Wettbewerbsvorteile.
Ja, man bleibt eine Filialbank, wenn man nur mehr die Hälfte an Filialen hat. Und wahrscheinlich nehmen mehr oder weniger Kunden einen weiteren Weg für die wenigen Besuche in Kauf. Aber die Bindung zur Filiale leidet, die Beziehung zu einzelnen Mitarbeitern leidet. Die Anfälligkeit für eine Umorientierung der Kunden steigt. Und wenn man sich schon umstellen muss bzw. vielleicht gar keine bekannte Person mehr als Ansprechpartner hat, dann bittet die Bank auch nicht mehr die für sie eigentlich spezifischen Vorteile nicht mehr. Dann könnte man gleich einen größeren Schritt machen und zur Direktbank gehen. Werden sich zumindest einige denken.
Zweifellos geht es für die Filiale um das wirtschaftliche Überlegen. Was sich früher mit den hohen Erträgen (aus dem Bestandsgeschäft, dem Eigengeschäft, den Beteiligungen,…) noch zudecken ließ und Strukturreformen verhinderte, liegt jetzt frei an der Oberfläche. Die Filiale braucht einen neuen “Purpose”. So wie in vielen anderen Branchen, die ähnliche Entwicklungen schon viel früher durchmachten. Die Frage, welchen spezifischen Mehrwert die Filiale in den nächsten Jahrzehnten für die Kunden bietet, muss ins Zentrum rücken. Die Filiale muss neu erfunden werden, soll sie (in größerer Anzahl) gerettet werden. Dabei meine ich nicht die Inneneinrichtung und das Design. Nein. Es geht um die Services und Dienstleistungen, die in der Filiale angeboten werden.
Betrachtet man die Kundenprozesse, dann zielen heute einige nicht mehr primär auf die Filiale. Früher holte man sich Produktinformationen in der Filiale, führte Transaktionen bar oder unbar am Schalter durch oder informierte sich über den aktuellen Kontostand u.ä. in der Filiale. Diese Prozesse sind großteils ins Web gewandert. Die persönliche Beratung, an der sich viele festklammern, wirkt auch nur bedingt, wenn Kunden nur alle heiligen Zeiten einen wirklichen Beratungsbedarf haben (oder meinen die Banken damit den von sich aus getriebenen Produktverkauf damit?). Und mit anderen, insbesondere der Abschluss von Produkten, wird versucht, eine Exklusivität der Filiale aufrecht zu erhalten und übersieht, dass man Entwicklungen nicht aufhalten kann und man die Filiale auf diese Art und Weise nicht auf ewig subventionieren kann.
Sind Kundenprozesse (überwiegend) ins Web gewandert, muss man sich neue Services und Dienstleistungen überlegen, die zumindest zum Teil eine stationäre und vor allem eine persönliche Tangente haben. Die Bank wird sich dabei etwas von ihrem Kernleistungen weg bewegen müssen. Die Basisleistungen einer Bank sind austauschbar. Alle Banken bieten in etwa das Selbe und vieles davon ist in Selbstbedienung via Web möglich. Es müssen Leistungen gefunden werden, die darüber hinausgehen und der Filialbank und der einzelnen Bank unter den Filialbanken wieder ein einzigartiges Nutzenprofil für Kunden verleihen. Die nicht einfach austauschbar und ins Web transferierbar sind bzw. wenn ja, durch Services im Web so abgebildet und erfüllt werden, dass dadurch eine (strukturelle) Wechselbarriere und im Idealfall eine Zahlungsbereitschaft für höhere Preise der Produkte geschaffen wird.
Klingt einfacher als es ist. Gebe ich gerne zu. Ich denke aber schon, dass sich Services und Dienstleistungen finden lassen. Vielleicht ist es ein Puzzle aus vielen kleinen Dingen. Ob diese reichen, um der Filiale wieder einen “Purpose” zu geben, muss man dann sehen. Und ob sich die Kosten einer Filiale dann wieder rechnen auch. Es ist nicht nur eine Versuch wert, es ist absolut lebensnotwendig. Wenn man es nicht tut, wird sie sich bestimmt schlechter rechnen. Man muss also einen Versuch starten, diesen “heiligen Gral” zu finden. Aber das sehe ich derzeit noch kaum bei Österreichs Filialbanken. Entweder ist das Bewußtsein für die Notwendigkeit noch nicht groß genug oder man sieht aufgrund der Betriebsblindheit keine Alternativen für Filialschließungen. Beides wäre fatal.
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